»Kein Kläger« ist der dritte Teil von Christiane Mudras Trilogie zu NS-ideologischen Kontinuitäten. Die auf investigativer Recherche basierende Performance mit Game-Elementen im Stadtraum München thematisiert die Rechtsbeugung von NS-Juristen, ihre unbehelligten Nachkriegskarrieren und das kollektiven Schweigen in der jungen Bundesrepublik.
Im Münchner Stadtraum trifft das Publikum auf Schauspieler*innen und Augmented Reality Clips mit eigens für die Produktion interviewten Zeitzeug*innen.
Kein Kläger beleuchtet Beispiele der Münchner Justizgeschichte und regt den Zuschauer an, sich mit juristischer Aufarbeitung sowie mit Errungenschaften und Schwächen des Strafrechts auseinanderzusetzen.
Durch die Rechtsbeugung des Richters Georg Neithardt konnte der Putschist Hitler bereits nach wenigen Monaten Haft in seinen Unterstützerkreis zurückkehren. 1924 wurde die Nachfolgepartei der zeitweise verbotenen NSDAP stärkste Kraft in München. 1943 verurteilte der Präsident des Volksgerichtshofs Roland Freisler zahlreiche Mitglieder der Weißen Rose in zwei Schauprozessen zum Tode. Seine in München wohnhafte Witwe bezog bis in die 90er Jahre eine erhöhte Rente. Am Münchner Oberlandesgericht waren nach 1945 Juristen von Sondergerichten und Volksgerichtshof tätig. Der Prozess gegen Philipp Auerbach (1952) trug antisemitische Züge und mündete in den Suizid des Angeklagten. Kein einziger Staatsanwalt oder Richter wurde im Nachkriegsdeutschland von einem deutschen Gericht rechtskräftig verurteilt.
Theodor Maunz, der dem NS-Regime juristische Legitimität zu verschaffen gesucht und die Gewaltenteilung zugunsten der Führergewalt wegargumentiert hatte, nahm am Grundgesetzkonvent teil, wurde bayrischer Kultusminister und Professor an der LMU. Nach seinem Tod 1993 wurde bekannt, dass er jahrelang anonyme Artikel für eine rechtsextreme Zeitung geschrieben hatte. Der Standardkommentar zum Grundgesetz trägt bis heute seinen Namen.
Der Bundesjustizminister Engelhard schrieb 1989, er halte die Flucht vor der Aufarbeitung des eigenen »geräuschlosen Abgleitens in den Nationalsozialismus« für »die Fehlleistung der bundesdeutschen Justiz«. Der Bundesgerichtshof kritisiert in einem Grundsatzurteil von 1995 mit scharfen Worten die »regelrechte Rechtsbeugung« der Nachkriegsjustiz.
Am 11. Juli 2018 fiel in München das Urteil im NSU-Prozess. Prozessbeteiligte und -beobachter fragen sich bis heute, warum das Gericht ausgerechnet bei den beiden aktiven Rechtsextremisten unter den Angeklagten weit unter der Strafmaßforderung der Bundesanwaltschaft blieb.
Verheerend war das Signal definitiv. Den Schlussakkord in einem der wichtigsten Nachkriegsprozesse bildete selbst 2018 der johlende Applaus der Neonazis, in den sich das Schluchzen der Hinterbliebenen mischte.
Vor dem Hintergrund der genannten Beispiele untersucht »Kein Kläger« exemplarisch Schauplätze, Urteile und juristische Karrieren, aber auch Fälle von gelungener Aufarbeitung.
Im Zentrum von »Kein Kläger« steht die Frage: Welche unverzichtbare Rolle spielt(e) die Justiz der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft bei der Eindämmung rechtsextremer und antisemitischer Gewalt?